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Es gibt verschiedene Harmoniumtypen: französisches Vierspiel, Druckwind, Saugwind, Kunstharmonium, Normalharmonium. Kotykiewicz baute Druckwindharmonien. Durch das Druckwindsystem und die zahlreichen Spielhilfen, kann man sehr kunstvoll auf diesen Instrumenten musizieren. Deshalb haben diese Instrumente im meinen Augen auch den Namen "Kunstharmonium" verdient, auch wenn der Begriff im Allgemeinen für einen ganz speziellen Harmoniumtyp verwendet wird.
Äußerlich sehen die Instrumente mit ihren bis zu drei Manualen und den Registerzügen einem Orgelspieltisch ähnlich. Auch die Registerbezeichnungen sind aus dem Orgelbau entlehnt. Kotykiewicz war Harmonium- und Orgelbauer! Die Tonerzeugung erfolgt über Stimmzungen, wie man sie zum Beispiel auch vom Akkordeon und Bandoneon kennt. Die Stimmzungen fertigte Kotykiewicz selbst, was im Harmoniumbau jener Zeit nicht unbedingt selbstverständlich war.
Spieltechnisch gesehen ist das Druckwindharmonium dem Akkordeon (Bayan) wesentlich näher als der Orgel. Obwohl alle Register die gleiche Tonerzeugung haben, können diese völlig unterschiedlich klingen. Die Register "Clarinette" oder "Hautbois" zum Beispiel klingen bei entsprechender Spielweise ihren Namensgebern erstaunlich ähnlich. Die Registerzüge mit ihren wunderschönen Porzellanschildern sind zwei- oder mehrfarbig. Die Farben kennzeichnen, auf welchem Manual sich die Register befinden. Die von Kotykiewicz gebauten Instrumente zeichnen sich durch eine außerordentliche Qualität aus, sowohl in der Verwendung der Materialien, als auch in der handwerklichen Ausführung. Das ist auch der Grund, warum auch heute Instrumente im Originalzustand spielbar sind. Das hatte auch schon damals seinen Preis. Zweimanualige Instrumente oder Pedalharmonien kosteten umgerechnet damals so viel, wie heute ein Konzertflügel.

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Technische Innovationen:
Durch den regen Kontakt zu Musikern entstanden erstaunliche Erfindungen, Weiterentwicklungen und spezielle Instrumente. Dazu gehören:

Prolongement Automat
Durch einen Registerzug aktiviert können beliebige Töne in der unteren Oktave des Manuals fixiert werden. Auf diese Weise kann man zum Beispiel einen Basston fixieren, während man danach wieder beide Hände zum Spielen frei hat. Wechselt man den Basston, wird der vorherige Ton gelöst und der neue Ton fixiert. Man kann auch mehrere Töne gleichzeitig fixieren. Hat man während des Spiels keine Hand frei, ist es möglich durch einen Kniehebel die Tastenfixierung zu lösen.

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Großes Prolongement
Während der Prolongement Automat auf alle gezogenen Register wirkt, beschränkt sich das große Prolongement auf das Register "Hautbois". Spielt man zum Beispiel einen Akkord und drückt die beiden inneren Kniehebel zusammen, klingt dieser solange weiter, bis man die Kniehebel wieder löst. Im Gegensatz zum Prolongement Automat, wo die fixierten Tasten unten bleiben, bleiben die Tasten beim großen Prologement nur so lange gedrückt, wie man die Finger auf den Tasten hält. Nimmt man die Hände von den Tasten, klingen die Töne weiter. Die Intensität (forte oder piano) der fixierten Klänge kann durch Registerzüge (Prolongement Doux) bestimmt werden. Es ist sogar möglich, die Klänge auf der Bass- und Diskantseite in unterschiedlicher Dynamik erklingen zu lassen.

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Percussion
Zieht man das Register "Flute Percussion", schlagen kleine Filzhämmerchen (ähnlich der einer Klaviermechanik) beim Tastenanschlag auf die Zungen. Dadurch erhält man vor allem in den hohen Lagen einen glockenartigen Klang. Besonders im Bassbereich wird dadurch die Ansprache der Zungen verbessert. Bei entsprechender Spielweise kann man mit diesem Effekt den Klang eines "Fender Rhodes" Pianos aus den 1970er Jahren imitieren. (Ein Video des Autors auf youtube mit dem Tiel "Jazzy" zeigt dies exemplarisch) siehe hier!

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Manualteilung
Der "Manualsplit" ist bei digitalen Instrumeten heute eine Selbstverständlichkeit. Zu der damaligen Zeit war die Einfühung jedoch eine Sensation. Jedes Manual ist in zwei Bereiche aufgeteilt. Deshalb sind die Registerzüge auch immer doppelt vorhanden. Möchte man zum Beispiel die "Clarinette" auf der gesamten Tastatur spielen, muss man beide Registerzüge (linke und rechte Seite) ziehen. Die Teilung der Tastatur ist festgelegt zwischen den Tönen E und F. Das gibt dem Musiker die Möglichkeit, zwei unterschiedliche Klänge auf einem Manual zu registrieren. Bei einem zweimanualigen Instrument kann man somit vier unterschiedliche Klänge registrieren.

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Expression
Der Expressionszug haucht dem Kunstharmonium erst die Seele ein. Durch das Betätigen der Tretschemel mit beiden Füßen, werden die Schöpfbälge mit Wind gefüllt. Die Schöpfbälge füllen den Magazinbalg, der den Wind gleichmäßig an die gespielten Stimmzungen weitergibt und diese zum Klingen bringt. Wird aber die EXPRESSION gezogen, umgeht man den Magazinbalg. Der Wind wird direkt (!) an die Stimmzungen geleitet. Dadurch ist ein sehr ausdrucksvolles Spiel möglich. Stufenlose Dynamik wird durch mehr oder weniger intensive Treten der Tretschemel erreicht. Die Spieltechnik entspricht im Wesentlichen dem der Balgführung eines Akkordeons. Effekte wie der "Bellowshake" (ein Tremolo Effekt), Akzente einzelner Töne (wie zum Beispiel beim Tangospiel mit dem Bandoneon) sind ebenfalls möglich. Das ist zugleich auch der größte Unterschied zur Orgel, wo all dies nicht möglich ist.

("Wind" ist die Bezeichnung für "Luft" im Harmonium- und Orgelbau)

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Manualkoppel
Durch die Manualkoppel werden bei zweimanualigen Instrumenten die beiden Manuale mechanisch miteinander verbunden. Spielt man auf dem ersten Manual, wird das obere Manual "mitgenommen", die gespielten Tasten bewegen sich mit. Klanglich kann man somit Register des unteren und oberen Manuals miteinander kombinieren.

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Forteklappen
Die Stimmzungen bestimmer Register sind in einem geschlossenen Gehäuse verbaut. Dieses Gehäuse besitzt auf der Oberseite zwei Öffnungen mit Klappen. Diese kann mit dem jeweiligen Registerzug gleichzeitig oder einzeln öffnen. Die Forteklappen lassen sich auch stufenlos mit einem Kniehebel öffnen und schließen, ähnlich dem Schwellwerk einer Orgel. Dadurch entsteht nicht nur ein "laut-leise" Effekt sondern man kann auch die Klangfarbe beeinflussen!

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Grand Jeu
Das "Grand Jeu" (großes Spiel/Volles Werk) aktiviert (fast) alle Stimmen/Register des Instrumentes, ähnlich dem "Tuttiknopf" einer Orgel. Mit dem ensprechenden Kniehebel ist es möglich, die einzelnen Register nach und nach, ohne den Gebrauch der Hände hinzuzuziehen und wieder abzustoßen.

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Kniehebel
Die schon mehrfach erwähnten Kniehebel haben folgende Funktionen:
-Das Öffnen und Schließen der Forteklappen
-Das Lösen der fixierten Töne vom Prologement Automat
-Das Fixieren und Lösen der Töne vom großen Prologement
(mit zwei Kniehebeln gleichzeitig)
-Das Registercrescendo (Grand Jeu)

2 Mitarbeiter mit Stimmgabeln, Ausschnitt aus einem Foto.

Diese beiden Herren mit der Stimmgabel in der Hand waren für das Stimmen und Intonieren der Instrumente verantwortlich. Sie müssen außerordentliche Fähigkeiten besessen haben. Es wurden ja nicht nur Instrumente in "wohltemperierter Stimmung" gefertigt sondern auch andere Stimmungen, wie zum Beispiel der pytagoreischen Stimmung, verschiedene indische Tonsysteme und neue, experimentelle Stimmungen. Hinzu kommt, dass die Instrumente zwischen 100 und über 800 Stimmzungen besaßen. Elektronische Stimmgeräte gab es damals (glücklicherweise) noch nicht. Das Stimmen ist beim Harmonium sehr aufwendig. Vielleicht wurden die Zungen auf einem Stimmtisch vorgestimmt. Die richtige Stimmung und Intonation erfolgte aber im Instrument. Anders als beim Klavier, wo der Deckel beim Stimmen einfach geöffnet bleiben kann, muss das Harmonium immer wieder auf- und zugeklappt werden, um an die Zungen zu gelangen und den Ton anschließend zu kontrollieren. Wahrscheinlich stand dem Stimmer ein Geselle zur Verfügung, der diese Tätigkeit ausführte.

Instruments

Kotykiewicz built so-called "Druckwindharmonium".
Externally, the instruments, with their up to three manuals and stops, look similar to an organ console. The register designations are also borrowed from organ building. Kotykiewicz was a harmonium and organ builder! The sound is produced by reeds, as known from accordion and bandoneon. Kotykiewicz made the reeds himself, which was not necessarily a matter of course in harmonium building at that time.
From a playing point of view, the air pressure harmonium is much closer to the accordion (Bayan) than to the organ. Although all stops have the same tone generation, they can sound completely different. The stops "Clarinette" or "Hautbois", for example, sound astonishingly similar to their namesakes when played appropriately. The stops with their beautiful porcelain shields are two or more coloured. The colours indicate on which manual the stops are located. The instruments built by Kotykiewicz are of exceptional quality, both in the use of materials and in the craftsmanship. This is also the reason why even today instruments can be played in their original condition. This also had its price even then. Two-manual instruments or pedal harmonies cost the same price as a concert grand piano today.



Technical innovations
Through the active contact with musicians, astonishing inventions, further developments and special instruments were created. These include:


Prologement Automat
Activated by a stop, any notes can be fixed in the lower octave of the manual. In this way you can, for example, fix a bass tone while you have both hands free to play. If you change the bass tone, the previous tone is released and the new tone is fixed. You can also fix several notes at the same time. If you don't have a free hand during playing, it is possible to release the key fixation with a knee lever.



Great Prologement
While the Prologement Automat acts on all drawn registers, the large Prologement is limited to the "Hautbois" register. For example, if you play a chord and press the two inner knee levers together, it will continue to sound until you release the knee levers again. In contrast to the Prologement Automat, where the fixed keys stay down, the keys of the big Prologement only stay pressed as long as you keep your fingers on the keys. If one takes the hands off the keys, the tones continue to sound. The intensity (forte or piano) of the fixed sounds can be determined by a stop. (Prologement Doux). It is even possible to let the sounds sound in different dynamics on the bass and treble side.


Percussion
If you pull the register "Flute Percussion", small felt hammers (similar to a piano action) strike the reeds when the keys are struck. This produces a bell-like sound, especially in the high register. Especially in the bass range, this improves the response of the reeds. When played in the appropriate manner, this effect can be used to imitate the sound of a 1970s "Fender Rhodes" piano. (A video of the author on youtube with the Tiel "Jazzy" shows this exemplary) see here!


Manual split
The "manual split" is a matter of course for digital instruments today. But at that time the introduction was a sensation. Each manual is divided into two sections. That's why the registers are always duplicated. For example: If you want to play the "Clarinet" on the entire keyboard, you have to pull both stops (the left and the right side). The division of the keyboard is fixed between the notes E and F. This gives the musician the possibility to register two different sounds on one manual. On a two-manual instrument you can register four different sounds.



Expression
The expression stop breathes the soul into the "Kunstharmonium". By operating the Tretschemel (pedals) with both feet, the bellows are filled with wind. The bellows fill the magazine bellow, which evenly transfers the wind to the played reeds and makes them sound. But if the EXPRESSION is pulled, you bypass the magazine bellows. The wind goes directly to the reeds. This allows a very expressive playing. Stepless dynamic is achieved by more or less intensive pedaling of the Tretschemel (pedals). The playing technique is essentially the same as that of the bellows of an accordion. Effects like the "Bellowshake" (a tremolo effect), accents of single notes (like playing tango with the bandoneon) are also possible. This is also the biggest difference to the organ, where all this is not possible.

("Wind" is the term for "air" in harmonium and organ building)

Manual coupler
The manual coupler mechanically connects the two manuals of two-manual instruments. If you play the first manual, the upper manual is "taken along", the keys played move along with it. This means that the registers of the lower and upper manuals can be combined with each other in terms of sound.


Forteklappen
The reeds of certain stops are built into a closed case. This case has two openings with keys on the upper side. These can open simultaneously or individually with the respective stop. The Forteklappen can also be opened and closed continuously with a toggle lever, similar to the swell of an organ. This not only creates a "loud and quiet" effect but also allows you to influence the timbre!


Grand Jeu
The "Grand Jeu" activates (almost) all voices/registers of the instrument, similar to the "tutti button" of an organ. With the corresponding toggle lever it is possible to activate and deactivate the individual stops one after the other without the use of hands.


Toggle lever
The toggle levers already mentioned several times have the following functions:
-The opening and closing of the Forteklappen (swell)
-To release the fixed tones from the Prologement Automat
-Fixing and releasing the tones from the large prologement
(with two knee levers at the same time)
-The Register Crecendo (Grand Jeu)

2 Mitarbeiter mit Stimmgabeln, Ausschnitt aus einem Foto.

These two gentlemen with the tuning fork in their hands were responsible for the tuning and intonation of the instruments. They must have possessed extraordinary skills. Not only instruments in "well-tempered tuning" were made, but also other tunings, such as the pytagorean tuning, various Indian tonal systems and new, experimental tunings. In addition, the instruments had between 100 and over 800 reeds. Electronic tuners did not (fortunately) exist at that time. Tuning the harmonium is very complex. Perhaps the reeds were pre-tuned on a tuning table. But the correct tuning and intonation was done in the instrument. Unlike the piano, where the lid can simply remain open during tuning, the harmonium must be opened and closed again and again to reach the reeds and then control the tone. Probably the tuner had a journeyman at his disposal who carried out this activity.